Robert Nabenhauer: Sehr geehrter Herr Nater, zunächst einmal möchte ich mich bedanken, dass Sie sich heute Zeit für dieses Interview genommen haben. Bitte stellen Sie sich doch unseren Lesern zu Beginn kurz vor.
Yves Nater: Auch ich bedanke mich gerne bei Ihnen, Herr Nabenhauer.
Ich lebe mit meiner Frau, meinem Sohn plus Hund und Katze bei Lenzburg, 20 SBB Minuten von Zürich entfernt. Es bietet sich uns hier alles, was ich brauche, ohne dass wir uns von Zürich abgeschnitten fühlen. Meine Frau und ich sind beide in Zürich aufgewachsen, deshalb war uns diese Gegebenheit doch sehr wichtig.
Ich bin 33 Jahre jung oder alt, je nachdem welchen Blickwinkel man hat. Und bin schon sehr früh mit Unternehmertum in Berührung gekommen. Meine Mutter und mein Vater sind oder waren bereits unternehmerisch tätig, als ich noch ein Kind war. Mein Berufseinstieg machte ich als Galvaniker, ein Handwerksberuf. Schon damals war es mir wichtig, viele Bereiche in einem vereinen zu können, dieser Beruf erfüllte diese Anforderung. Etwas später konnte ich einen Quereinstieg in eine Sozialhilfeeinrichtung wagen, wo ich vom “Praktikanten” bis zum stv. Geschäftsführer kam. Ich lebte damals im 24 Altersjahr. Anschliessend widmete ich mich vermehrt der Projektarbeit und leitete ein Outsourcingprojekt. Während meiner Arbeitstätigkeit, welche oftmals weit über 100% lag, liess ich mich zum Erwachsenenbildner ausbilden und schloss später eine systemische Ausbildung auf Lehrerniveau ab. Darauf basierend entwickelte ich mein Visionscoaching, welches von Beginn weg hielt, was es versprach. Seit Kurzem darf ich mich nun freudig Mitglied eines Startups nennen. Nebenbei leite ich ein Seminar zur Persönlichkeitsentwicklung (PEM), für ein nationales SECO Programm. Und ganz neu ist, dass ich für ein Unternehmen in Deutschland ehrenamtlich Mentees begleiten darf. In der Kurzfassung sind leider die spannenden Tiefen nicht direkt ersichtlich. Wen das interessiert, den verweise ich gerne auf mein Xing-Profil.
Robert Nabenhauer: Nun kenne ich aus meinem Umfeld zahlreiche Berater und Coaches, ein „Visionscoach“ ist mir aber bislang noch nicht untergekommen. Was genau hat es damit auf sich?
Yves Nater: Besten Dank für diese Frage. Obwohl in den letzten Jahren Visionscoaches wie Pilze aus dem Boden schiessen, ist diese Spezifikation noch weitgehend unbekannt, deshalb bedanke ich mich auch für Ihre Einladung zum Interview.
Es dürfte vielen Lesern, vielleicht auch aus eigenen Erfahrungen, bekannt sein, dass man viel Motivation entwickelt, wenn man seinen eigenen Ideen / Visionen / Wünschen folgt. Leider aber haben sehr viele Menschen innerlich aufgegeben. Sie glauben nicht an Ihre Vision oder schlimmer noch, sie haben keine mehr. Keine Vision für sein eigenes Leben zu haben gleicht einer Irrfahrt durch eine unbekannte Stadt. Welche Entscheidung muss ich treffen, um ans Ziel zu kommen? Welches ist der kürzeste Weg? Welche Sehenswürdigkeiten gibt es und welche liegen auf meinem Weg? Um hier nur einige Fragen zu nennen, welche man so zu beantworten hat, wenn man auf dem Weg zu einem Ziel ist. Doch alle diese Fragen können nicht beantwortet werden, wenn man das Ziel nicht kennt oder es nicht klar ist. Ich habe mich auf die Ausarbeitung UND die anschliessende Umsetzung von Visionen spezialisiert, aber nicht in der Art, dass ich meinen Coachees einen Ideenpool vorlege und sage: “Wähl aus!” – deshalb habe ich auch den Begriff Vision- anstelle von Zielcoach gewählt, es soll tiefer und echter sein. Aus einem fremden Ideenpool zu wählen, würde einer intrinsischen Motivation widersprechen, denn dies wären ja meine Ideen. Vielmehr erkennen meine Kunden ihre Vision von selbst, wie es die Naturvölker schon immer getan haben. Dann folgt die Umsetzung, denn was nutzt ein Herzenswunsch, wenn er nicht umgesetzt wird?! Gerade hier kommen wieder einige an Ihre Grenzen. Ausreden, Ängste, Selbstwertprobleme – um nur ein Paar Ursachen zu nennen – stehen so vielen Menschen vor der Freude. Das komplette Spektrum in seiner Ganzheit zu erklären, würde den Rahmen dieses Interviews aber sicherlich sprengen. Deshalb freue ich mich auch, die Gelegenheit zu nutzen und mein Buch erstmals öffentlich zu erwähnen, welches frühestens Ende Jahr (2012) verfügbar sein wird. Bis dahin empfehle ich, den Erfahrungsbericht und die vielen Referenzaussagen auf unserer Website zu lesen.
Zusammenfassend gesagt: mein oberstes Ziel ist es, “Herz und Verstand verbindend in Aktion zu bringen“. Umsetzung mit Herz und Verstand. In Bezug auf das Herz in diesem Zusammenhang empfehle ich, die Arbeiten von Doc Childre, HeartMath Institute, Kalifornien (USA), zu studieren.
Robert Nabenhauer: Visionen sind nicht auf das Berufsleben beschränkt. An dieser Stelle sollten wir uns im Sinne unserer Leser aber dennoch auf Unternehmer und Führungskräfte konzentrieren. Wie genau können Sie diese Menschen unterstützen?
Yves Nater: Richtig erkannt, es gibt aus meiner Sicht drei hauptsächliche Lebensbereiche, welche aber dennoch nicht unabhängig voneinander fungieren. Ich spreche von: Beruf, Partnerschaft und Persönliches (zB. Hobby). Die Verbindung dieser drei, also wenn man es schafft, alle drei zu pflegen und zu fördern, erlebt man nachweislich erhöhte Lebensqualität, alles scheint möglich. Nicht umsonst ist der Ruf nach neuen Arbeitsmodellen in den letzten Jahren gestiegen.
Im Sinne einer Führungsrolle ist klar: zuerst muss man in der Lage sein, sich selbst zu führen, dann ist man auch in der Lage, andere oder ein Unternehmen zu führen. Doch wohin führt man sich selber? Was hat man für eigene Ziele? Und tut man etwas dafür, sie zu erreichen? Es geht also auch um Work-Life-Balance oder Burnout-Profilaxe, alles Unterthemen einer verminderten Lebensqualität. Die vielerorts propagierte Ruhe ist nicht das ganzheitliche Heilmittel, es ist ein Baustein, mehr aber nicht. Einen Sinn im Leben zu haben, ihn zu erkennen und danach zu handeln, wirkt sich auf das eigene Wohlbebefinden aus und damit auch auf das Befinden im eigenen Team und dessen Leistungsfähigkeit. Weitere Anwendungsmöglichkeiten sehe ich im Bezug auf Projektmanagement. Mit meiner Methode (V-L-B) wird dann auch klar, weshalb Projekte scheitern oder harzig vorwärts gehen. Immer hat es mit der Ausrichtung der jeweiligen Führungsperson zu tun, ob dies nun der Projektleiter oder direkt der CEO ist. Führung ist nur möglich, wenn ich das Ziel so gut wie möglich beschreiben kann UND sich die verantwortliche Person in dieser Beschreibung wiederfindet. Ansonsten sinkt die Motivation rasch und die Ergebnisse werden unbefriedigend, das Klima verändert sich negativ bis schliesslich das Projekt abgebrochen wird. Das muss aber nicht sein. Wem das nicht unbekannt ist, der weiss auch um die Kraft von Sekundärzielen. Unbewussten Zielen, welche uns hier und da mal ein Bein stellen. Sekundärziele sind die Ziele, worauf wir uns mental ausrichten. Wenn ich mir diesen Zielen nicht bewusst bin, werde ich zur Marionette meiner eigenen Mentalkraft. Dies stimmt genauso in Bezug auf Personen wie auch auf Systeme. Sekundärziele zu klären, sollte wichtigstes Instrument von Führungspersonen sein. Man kann sich vorstellen, wie inkongruent man handelt, wenn man A sagt, aber B tut. Die Mitarbeiter werden das nicht benennen können, aber die Inkongruenz wird wahrgenommen und dies fördert unbewusst ein negatives Klima.
Eine Führungskraft sollte sich also selber führen können und sollte seine innersten Ziele kennen und bewusst gewichten können. So kann die Ausrichtung bewusst kanalisiert oder umformuliert werden.
Robert Nabenhauer: Die Psyche steht also im Vordergrund Ihrer Arbeit. Mit welchen konkreten Methoden helfen Sie Ihren Klienten bei der Erreichung ihrer jeweiligen Zielsetzungen?
Yves Nater: Ich verfolge in meiner Arbeit zu 100% einen systemischen Ansatz, weil ich erkannt habe, wie wichtig für Menschen Systeme sind. Wir leben in Systemen, unser Körper ist ein System und alles um uns herum zeigt sich als System. Systeme bieten uns also halt, können aber genauso überfordern oder Grenzen setzen. Im Extremfall einengen. Daraus abgeleitet habe ich aus allen Komponenten, welche aus meiner Erfahrung wichtig sind, um als Mensch ein Leben mit hoher Lebensqualität führen zu können, ein verständliches System erarbeitet und dies in einen Regelkreis gebettet (siehe Bild).
Vision / Leben / Bewusstsein, oder kurz: Die V-L-B Regelkreis Methode. In diesem Regelkreis finden dann die verschiedensten Methoden Platz wie zB. Storytelling, Tiefenentspannung, die Nutzung von Farben, Formen und Bildern, Visualisierung und auch abgewandelte NLP-Ansätze sind vertreten. Abgerundet wird das ganze durch Herzresilienz[1] und OneStep’s[2], beides von mir entwickelte Untermethoden. Obwohl der ganze Ablauf fein säuberlich geplant ist und jeder Schritt seinen Sinn hat, ist das Coaching doch individuell, weil je nach Coachee oder Problemstellung Methoden hinzugefügt oder weggelassen werden können. Kurz gesagt: Bei mir kriegt der Kunde immer 3 in 1. Coaching, Mentoring, Seminar – und das auch noch unter 4 Augen.
Wer es noch konkreter haben möchte, ruft mich am besten direkt an. Denn, wie gesagt, bestimmt die individuelle Ausgangslage, wo der Regelkreis bei der Bewusstwerdung ansetzt (siehe Bild).
Robert Nabenhauer: Aus meiner Erfahrung heraus weiß ich, dass sich Menschen oftmals selbst im Weg stehen. Wie viel Prozent der Unternehmer scheitern an psychischen Barrieren? Können Sie das auf Basis Ihrer Berufspraxis abschätzen?
Yves Nater: Ich gebe Ihnen natürlich recht, Menschen stehen sich selbst im Weg. Warum ist das so? Es liegt an der eigenen Bewertung der Situation und oftmals auch an unerfüllten Erwartungshaltungen. Die Frage nach einem Prozentsatz ist natürlich sehr komplex. Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass etliche Teamleiter Schwierigkeiten im Bereich der Softskills haben. Es ist halt immer noch so, dass man nur dann Karriere machen kann, wenn man die Führungsleiter emporsteigt. Nur dann besteht Aussicht auf mehr Lohn, was ja schlussendlich der massgebliche Anreiz in unserer Gesellschaft ist. Die Wenigsten möchten führen des Teamgedanken wegens, und wenn doch, wird es ihnen von der Unternehmensstruktur her schier verunmöglicht. Ich kenne bisher nur eine Firma, welche beide Wege zulässt, Spezialist oder Führungsperson frei nach den eigenen Zielen. Ein international tätiger Logistikdienstleister. In diesem System ist es sogar möglich, dass der Spezialist mehr verdient als der Vorgesetzte. Die Auswertung der Leistung ist dementsprechend komplex, aber da die Motivation damit vollständig intrinsisch orientiert ist und der monetäre Fokus damit in den Hintergrund gerät, rechnet sich der Aufwand des Unternehmens natürlich. Die Mitarbeiter sind damit alle am richtigen Platz, was dann auch entsprechend Zündstoff vermindert.
Abschliessend kann ich keine Prozentzahl auf diese Frage nennen, da ich immer nur dann intensiven Kontakt mit den Coachees habe, wenn Probleme bestehen. So gesehen wären es 100%. Das entspricht natürlich nicht der Tatsache. Fakt ist aber, dass bei allen schlussendlich immer ein nicht physisches Problem besteht: eine Angst, eine Erwartungshaltung, eine scheinbar unüberwindbare Hürde, etc. Ich erkenne jedesmal von Neuem, wie wir im Umgang mit Gefühlen sehr verarmt sind. Diese Tatsache macht vor dem Chefbüro nicht Halt, eher das Gegenteil ist der Fall.
Robert Nabenhauer: Wie viele Ideen und Unternehmenskonzepte werden gar nicht erst umgesetzt? Welchen Stellenwert nehmen Faktoren wie Motivation, Durchhaltewille oder auch Zukunftsangst schon bei der Firmengründung ein?
Yves Nater: Auch hier habe ich einen etwas eingeschränkten Blickwinkel. Allerdings stelle ich fest, dies kann auch jeder Leser selbst kurz für sich überprüfen, dass allgemein die meisten Menschen wenig über ihre Ziele und ganz besonders über ihre Visionen sprechen. Dabei wäre das der erste Schritt! Darüber sprechen, Gleichgesinnte finden, Allianzen bilden, etc. Man muss ja nicht alles selber können. Wichtig ist die Idee. Diesen Grundgedanken stütze ich auch als Moderator in der Xing Gruppe Brainmarketing – Street for your Ideas. Erleben Sie das ähnlich oder auch so in Ihrem Umfeld, liebe Leser?
Dann haben natürlich alle Faktoren, die Sie bereits genannt haben, einen hohen Stellenwert. Den höchsten Stellenwert nimmt aber das eigene Selbstwertgefühl ein. Die Selbstsicherheit, die Überzeugung von sich UND seiner Idee. Auf der anderen Seite dieses heroischen Bildes muss man trotzdem zugänglich sein, seine Partner abholen können. Am besten sogar die Motivation, das Feuer, beim Gegenüber entfachen, damit man Mitstreiter gewinnt. Wie gesagt, ist dies das Schwierigste, weil sich die meisten Menschen gar nicht bewusst sind, dass ihre Ideen toll sind. Alle Ideen sind toll, denn sie stützen die eigene Kongruenz, sind also ein Stück der eigenen Persönlichkeit. Wieso also sollte das nicht toll sein? Hier schliesst sich der Teufelskreis dann auch, da sich hier wieder die Frage nach dem eigenen Selbstbild stellt. Auch die Zukunftsangst rührt nur von der eigenen Unsicherheit. Wenn man sich seiner “Kraft” bewusst wird, stellt man fest, dass alle diese negativen Gedanken in den Hintergrund fallen. Der Weg wird sozusagen frei.
Robert Nabenhauer: Erfolg ist also nicht nur eine Frage des richtigen Businessplans, sondern auch der mentalen Stärke. Können die psychischen Voraussetzungen wirklich durch ein Coaching beeinflusst werden?
Yves Nater: Ganz klar ja. So wie jede Art des Coachings die eigenen Fähigkeiten verbessert. Einerseits gibt ein Coach, dank dem nötigen Abstand zum Thema, Inputs, welche die Selbstreflexion des Coachees anregt, der Motor für persönliche Veränderungen. Andererseits bietet gerade ein Systemischer Coach ein ganzheitliches Bild an, welches die einzelnen Bereiche auch getrennt behandeln lässt. Wie dies mein V-L-B Regelkreis tut. Wir Menschen brauchen Ordnung, da kann es mitunter hilfreich sein, etwas zu trennen, um zu begreifen, bevor man das gesamte Bild verändern kann. Als Kind kennt man dieses Vorgehen: zuerst lassen Kleinkinder Türme einstürzen, bevor sie in die Lage kommen, selbst Türme zu bauen. Ein Herzchirurg erzählte einmal während einem seiner Vorträge, dass er als Kind von Herzen gerne Traktor mit Anhänger fuhr. Heute fährt dieser renommierte Chirurg einen Sattelschlepper. Die Fertigkeit, grosse Fahrzeuge zu fahren, eignete er sich bereits früh durch Trockenübungen mit Spielzeug an. Dadurch konnte er quasi von oben (er war grösser als das Gerät) beobachten, wie sich Achse und Kupplung beim Rückwärtsfahren verhalten. Dieses “Bild” half ihm später bei der Umsetzung, als der Blick von unten wichtig war (das Gerät war nun grösser als er). Ein Coach sollte dies mit seinem Coachee machen können. Ihn in einen Zustand versetzen, in welchem das Leben kleiner wirkt. Dies lässt den Coachee die Chancen und Möglichkeiten erkennen. Schlussendlich beweisen natürlich nur die umgesetzten Veränderungen, in wie weit Coaching erfolgreich ist. Die Umsetzung hat immer mit dem Coachee zu tun. Deshalb gefällt mir folgende Defintion: der Coachee soll in die Lage versetzt werden, dass er fortan das Gefühl hat, die Hürde nun von alleine überwinden zu können. Oder anders: “Hilfe zur Selbsthilfe”.
Robert Nabenhauer: Die Persönlichkeitsentwicklung ist meines Erachtens nach ein schwieriges Feld. Hier ist sicherlich ein hohes Maß an Empathie erforderlich. Nehmen Sie da nicht hin und wieder auch die Rolle eines Therapeuten ein?
Yves Nater: Ich sehe mich als Begleiter, einen Lebensabschnittsbegleiter. In dieser Rolle ist manchmal sehr Unterschiedliches nötig. Ich bin sehr kreativ, und Probleme von anderen Menschen beflügeln meine Lösungsorientierung. Man könnte auch sagen, ich werde zum Terrier, wenn ich ein Problem rieche. Manchmal gibt es Tränen, manchmal empfehle ich meine Coachees auch weiter. Genial finde ich, wenn meine Kunden dank dem erhöhten Bewusstsein von selbst erkennen, was nun nötig ist. Einer hat im Anschluss mit Sport begonnen, er meinte, dass er nun Lust bekommen hat, sich sportlich zu betätigen. Er hat seine Lethargie erkannt, ihr ins Gesicht geschaut und dann entschieden, dass damit Schluss ist. Dies nenne ich vollen Erfolg, obwohl ich ihm nicht einmal gesagt habe, er solle abnehmen oder Sport treiben etc. Ich lasse Sie gerne selbst entscheiden, ob dies therapeutisches Wirken ist oder nicht. Hauptsache ist, es wirkt, es entstehen Veränderungen – und zwar in positiver Richtung.
Die vielen verschiedenen und oftmals auch konträren Abschnitte in meinem Leben helfen mir sicher dabei, echte Empathie zu empfinden. Was den Coachees ermöglicht, mir Dinge zu erzählen, welche sie noch niemandem erzählt haben. Das ist nötig, um mal mit etwas Altem abschliessen zu können. Manchmal ist das notwendiger als alles andere…
Robert Nabenhauer: Einen besonderen Einfluss auf die Persönlichkeit haben sicherlich auch soziale Beziehungen. Das ist das Stichwort für meine nächste Frage, Herr Nater. Sie haben sich mit dem PreSales Marketing beschäftigt. Wie beurteilen Sie den Ansatz, Anonymität durch persönliche Kontakte zu ersetzen?
Yves Nater: Eine spannende Frage, Herr Nabenhauer. In meinem Beruf hat Persönlichkeit die höchste Priorität. Ich spreche mit jedem Interessenten früher oder später persönlich unter 4 Augen, bevor mein Angebot “verkauft” wird. Es ist mir sehr wichtig, sich gegenseitig beschnuppern zu können. Dadurch kann man gegenseitig sehr viel in Erfahrung bringen. Meiner Meinung nach viel mehr als in der digitalen Welt. Es gibt Dinge, zB. haptische Produkte, welche keine persönliche Beziehung zum Hersteller erfordern. Allerdings ist auch hier ein Trend zu mehr Persönlichkeit erkennbar. In meiner Abschlussarbeit CAS für BWL an der FHNW arbeite ich zum Thema CRM. Frederick Newell[3] erkennt in seinem Buch, dass die Kunden mehr Einfluss haben möchten. Ich denke, jede Branche muss für sich klären, inwieweit persönliches Stattfinden sein darf oder ob Einfluss über die digitale Welt genügt. Das höchste der Gefühle bietet wohl ein bekanntes Modelabel: die haben den E-Shop so gestaltet, dass man das Gefühl hat, direkt im Laden zu sein. Mit den entsprechenden Räumen inklusive Umkleidekabine. Das Ganze geht soweit, dass der Kunde sich online bestimmte Artikel reservieren lassen und diese dann im Laden seiner Wahl live anprobieren kann. Aus meiner Sicht absolut zukunftsträchtig, natürlich im hohen Preissegment angegliedert. Schlussendlich geht es immer um Persönliches; den Kundenberater am Telefon, die Verkäuferin im Laden und sogar die Raumcleanerin im Hotel. Wir Kunden neigen dazu, den persönlichen Kontakt mehr zu gewichten, damit wird die Marke oder das Produkt anhand der Kontakt- und Ansprechpersonen bemessen. Das sollten wir nie vergessen, auch dann nicht, wenn man mal eine Kritik loswerden muss.
Robert Nabenhauer: Wie komplex ist Ihrer Meinung nach das PreSales Marketing? Würden Sie diese Form der Vertriebsanbahnung und der Kundenakquise auch Neueinsteigern und Startups empfehlen?
Yves Nater: Nicht nur empfehlen, es ist ein Muss! Und ja, mitunter auch ziemlich komplex. Ich rate jedem, sich zuerst seiner Verkaufstaktik klar zu werden. Die eigenen Rahmenbedingungen zu klären etc. Wie wir wissen, ist es immer komplex, nervenaufreibend, aber auch nahrhaft, sich seiner Werte bewusst zu werden. Der Lohn dafür ist erhöhte Kongruenz und besseres “Standing” in Bezug auf Verkaufs- oder Produktefragen. Der Kunde schafft es vielfach, einem eine unbequeme Frage zu stellen. Wie man damit umgeht, hinterlässt grossen Eindruck beim Kunden. Positiv oder negativ.
Hierzu kann ich jedem das Buch von Gaby S. Graupner[4] wärmstens empfehlen. Sie erklärt darin die konsensitive Verkaufsmethodik – Kunde und Verkäufer auf gleicher Augenhöhe – räumt mit alten Verkaufstaktiken auf und stösst den Denkprozess über das eigene Verkaufsverhalten an. Mitunter enthält das Buch auch Übungen und Anleitungen, wie man einen effizienten Verkaufsprozess aufbaut.
Robert Nabenhauer: Herr Nater, ich danke Ihnen für dieses offene Gespräch.
Yves Nater: Ich habe zu danken, Herr Nabenhauer. Es hat mir grossen Spass gemacht und ich hoffe, die Leser können ein paar Denkanstösse aus dem Gespräch mitnehmen.